«Hausärztin oder Hausarzt ist ein faszinierender, unglaublich vielseitiger Beruf.»
Mai. 2012Hausärztinnen und Hausärzte
Interview Ueli Grüninger. Hausärztinnen und Hausärzte sind die wichtigste Anlaufstelle für Menschen mit Gesundheitsproblemen. Mit zunehmenden Aufgaben und medizinischen Möglichkeiten wachsen die beruflichen Anforderungen laufend, während gleichzeitig das traditionell hohe Ansehen und die Attraktivität des Hausarztberufs sinken. Wo genau drückt der Schuh? Das wollte «spectra» vom Arzt Ueli Grüninger wissen, dem Geschäftsführer des Kollegiums für Hausarztmedizin.
spectra: Was ist das Kollegium für Hausarztmedizin?
Ueli Grüninger: Das Kollegium für Hausarztmedizin (kurz KHM) ist eine 1994 gegründete Stiftung. Träger sind die drei Fachgesellschaften für Hausärzte, die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeinmedizin, die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin und die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie, sowie die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften und die fünf medizinischen Fakultäten der Schweiz.
Welches sind die Hauptaktivitäten des Kollegiums?
Stiftungszweck ist die Erhaltung und Förderung der Qualität der medizinischen Grundversorgung – sprich: der Haus- und Kinderarztmedizin – in den Bereichen Klinik, Forschung und Ausbildung. Im Bereich Fortbildung führen wir jährliche Kongresse mit rund 1500 Teilnehmenden durch. Zur Qualitätssicherung erwerben pro Jahr rund 400 angehende Hausärztinnen und Hausärzte einen Fähigkeitsausweis FMH/KHM, fürs Praxislabor in dreitägigen KHM-Kursen, für dosisintensives Röntgen in Einzeltutoriaten mit KHM-Experten. Wir entwickeln und organisieren Programme zur Prävention und Gesundheitsförderung in der Hausarztpraxis: Der Nationale Grippeimpftag der Schweizer Hausärzte findet dieses Jahr bereits zum neunten Mal statt, und mit unserem innovativen Projekt «Gesundheitscoaching KHM» gibt es nun ein praxiserprobtes Programm für die hausärztliche Beratung und Begleitung von Patienten bei Verhaltensänderung. Das KHM fördert mit einem alljährlichen Forschungspreis die noch junge Forschung; die Hausarztmedizin ist nämlich in den Universitäten ein noch relativ junges Fachgebiet – Institute für Hausarztmedizin sind erst ab 2004 entstanden –, und für die Entwicklung der medizinischen Grundversorgung stellen sich viele neue Forschungsfragen, welche die bisherige medizinische Forschung nicht beantworten kann. Bildung, Qualitätssicherung, Forschung, Prävention und Gesundheitsförderung sind also die wichtigsten Aufgaben der Stiftung. Immer mehr Projekte führen wir zusammen mit Partnern aus dem privaten oder dem öffentlichen Sektor durch. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist für uns dabei ein sehr wichtiger Partner.
Wir steuern auf einen Hausärztemangel zu. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Der einfachste Grund ist, dass die Schweiz seit Jahren schlicht zu wenige Ärzte ausbildet. Wir brauchten pro Jahr etwa 1300 neue Diplomierungen, tatsächlich sind es aber nur etwa 700. Dabei gäbe es genug junge Menschen, die Medizin studieren wollen. Letztes Jahr wurden rund 1300 weitere Interessenten abgelehnt, weil die Zahl der Studienplätze nicht dem Bedarf entsprechend angepasst werden könne: Universitäten, Kantone und Bund schieben einander den Schwarzen Peter zu. Dass die Schweiz dafür die fehlenden Ärztinnen und Ärzte aus den Nachbarländern importiert, wird auf die Dauer nicht gut gehen, auch aus politischen und ethischen Gründen. Zum zweiten spielt die Demografie eine wichtige Rolle. Es gibt generell immer weniger junge Menschen, entsprechend weniger potenziellen Nachwuchs. Gleichzeitig gibt es immer mehr ältere Menschen, die mehr medizinische Leistungen brauchen.
«Ohne wirksame Massnahmen ist die medizinische Grundversorgung schon bald nicht mehr gewährleistet.»
Drittens kann die Medizin immer mehr anbieten. Diese letzten beiden Punkte erhöhen die Nachfrage nach medizinischer «Workforce». Dem steht aber – viertens – ein ungenügendes Angebot an Personal gegenüber. Denn es werden nicht nur zu wenig Ärztinnen und Ärzte ausgebildet, sondern wegen des steigenden Anteils an Teilzeitarbeitenden – eine Nebenwirkung der sehr erfreulichen Zunahme des Frauenanteils – ist rechnerisch noch weniger «Workforce» vorhanden. Für 10 Vollzeitstellen braucht man heute eher 15 als 10 Personen. Und fünftens muss man auch sehen, dass der Arbeitsaufwand der Hausärzte für Administration ständig wächst. Das alles aber bedeutet: Ohne wirksame Massnahmen ist die medizinische Grundversorgung schon bald nicht mehr gewährleistet.
Sie tönen es an: Ist der Hausarztberuf nicht attraktiv genug?
Hausarzt ist ein faszinierender Beruf. Aber die Rahmenbedingungen sind nicht optimal. Es braucht deshalb mehr Gewicht und Investitionen für eine praxisgerechte Weiterbildung, und es braucht faire Rahmenbedingungen, welche hohe Arbeitsbelastung, lange Präsenzzeit, wachsenden administrativen Aufwand und steigenden wirtschaftlichen Druck reduzieren. Hausärztinnen und Hausärzte sind eigentlich Kleinunternehmer. Sie sollen sich im Markt behaupten, aber gleichzeitig werden ihnen in vieler Hinsicht die Hände gebunden, sie sind ständig unter Kontrolle. Trotzdem: mein Eindruck ist, dass Hausärztinnen und Hausärzte bei der Bevölkerung immer noch ein hohes Ansehen geniessen. Unter dem Strich gibt es bei diesem Beruf wenig zu jammern, und darum machen wir lieber Werbung für unseren Beruf. Denn Hausärztin oder Hausarzt ist und bleibt tatsächlich ein wunderbarer, vielseitiger und erfüllender Beruf.
Was will die Hausarztinitiative, die letztes Jahr eingereicht wurde, um die Tätigkeit der Hausärzte aufzuwerten?
Diese Initiative entstand aus der grossen Sorge heraus, dass sich die Gesellschaft – und v.a. deren Entscheidungsträger – zu wenig bewusst sind, wie wichtig eine gute medizinische Grundversorgung für die Bevölkerung ist. Die Hausärztinnen und -ärzte sind deswegen schon seit Mitte der 2000er-Jahre aktiv, mit der Hausarztdemo vom 1. April 2006 als Fanal. Die Forderungen waren schon damals eine bessere Ausbildung, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Investitionen in die Grundversorgung und ein Mitspracherecht. Diese Forderungen mündeten dann in diese Initiative, die auf viel Echo gestossen ist und mit über 200 000 Unterschriften in Rekordzeit zustande gekommen ist. Die Hausärzte sind seither zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft geworden und haben in den letzten Jahren mit dem Berufsverband der Haus- und Kinderärzte Schweiz eine neue Dachorganisation geschaffen. Dieser hat die Aufgabe, sich um politische und gewerkschaftliche Anliegen zu kümmern. Das Kollegium für Hausarztmedizin und die medizinischen Fachgesellschaften sind weiterhin für fachliche Fragen zuständig.
Der Hausarztmangel ist ein Problem mit vielen Ursachen und wird vielleicht gerade deshalb von niemandem konkret angegangen. Wer müsste aktiv werden?
Wichtig scheint mir, dass die wichtigsten Player sich endlich zusammensetzen: Bildung, Politik, Verwaltung, die Ärzte selber, ihre Partner in den anderen Gesundheitsberufen und auch die Bevölkerung – sie alle müssen mitreden können, wenn es um die Zukunft unserer Gesundheitsversorgung geht. Als Bürger stelle ich mir oft die Frage, wie weit die Parlamentarier wirklich Volksvertreter sind oder doch eher und vor allem Lobbyisten. Im Gesundheitswesen gibt es zum Teil sehr kontroverse Interessen; es ist ein Wachstumssektor, Wirtschaft und Interessenverbände wollen natürlich, dass das Gesundheitswesen immer mehr umsetzt.
«Wir fordern ein Umdenken: präventive Massnahmen sollten verrechnet werden können – dann werden sie auch regelmässig und nachhaltig gemacht.»
Aber wir bezahlen das mit steigenden Kosten und Prämien. Es brauchte hier, wie immer in der Politik, eine grundsätzliche Entscheidung und dann jemanden, der die Führungsverantwortung übernimmt. Das ist in einem föderalistischen Staat wie der Schweiz nicht einfach: Bei uns entscheiden in Gesundheitsfragen die Kantone. Der Bund tritt nur subsidiär oder bei speziellen Aufgaben wie bei den übertragbaren Krankheiten auf. Das Präventionsgesetz, das derzeit in der Vernehmlassung ist, will dem Bund zumindest etwas mehr koordinative Funktionen und Rechte übertragen. Die Gesetzesvorlage hat es zwar schwer, aber ich hoffe sehr, dass mehr Strukturen und Kompetenzen geschaffen werden, damit Koordination und Verantwortungen für alle Akteure klarer werden. Das BAG spielt dabei dank Grösse, Ressourcen und Vernetzung eine wichtige Rolle. Persönlich vermisse ich beim BAG manchmal den Mut zur Führungsverantwortung.
Wie sehen Sie die Rolle und die Verantwortung der Hausärztinnen und Hausärzte in Bezug auf das öffentliche Gesundheitswesen, sprich: Prävention, Früherkennung, Überwachungsaktivitäten (Sentinella) usw.?
Die frühere Gesundheitsministerin Ruth Dreifuss hat mit gutem Grund die Hausärztinnen und Hausärzte als «pivot du système de santé» (Angelpunkt des Gesundheitssystems) bezeichnet. Ob in Sprechstunde und bei Hausbesuch mit Menschen und Familien, ob beim Engagement in seiner Praxisgemeinde: Ein Hausarzt denkt immer auch über den einzelnen Patienten hinaus an seinen ganzen Patientenstamm, an die Gemeinschaft, in der er arbeitet und lebt. Der Hausarzt impft, führt Früherkennungsuntersuchungen durch oder meldet dem Kantonsarzt, wenn plötzlich gehäuft Patienten mit Durchfall in seine Praxis kommen: In der Summe sind die über 7000 Hausärzte zentrale Akteure in der Santé publique.
Wäre es für Hausärzte interessant, zusätzliche Aufgaben der öffentlichen Gesundheit zu übernehmen? Was wären gute Anreize?
Wir müssen realistisch bleiben: Ein amerikanischer Forscher hat einmal ausgerechnet, dass ein Hausarzt über 24 Stunden pro Tag arbeiten müsste, wenn er alles machen würden, was er sollte – allein in der Prävention. Ein Hausarzt ist aber ohne diese Aufgaben schon ziemlich beschäftigt.
Aber kommen wir zu den Anreizen. Wir wissen aus Studien, dass Hausärzte zu jenen Ärzten gehören, die sich am stärksten für Prävention und Gesundheitsförderung aussprechen. Aber bei der Umsetzung stossen sie an Grenzen: Neben der Zeit ist das insbesondere die zumindest ungenügende und meist gar ganz fehlende Entschädigung. Hausärzte müssten für klassische Aufgaben der Prävention und öffentlichen Gesundheit angemessen bezahlt werden. Bis heute können sie zum Beispiel für Präventivberatungen nicht oder nur in ganz wenigen Ausnahmefällen (wie der Adipositasberatung bei Kindern) Rechnung stellen. Die Begründung von Kassen und Aufsichtsbehörde BAG ist, dass das Krankenversicherungsgesetz nur für Krankheiten zuständig sei. Dahinter steckt die uralte, eigentlich überholte Sicht, dass Krankheit und Gesundheit klare Gegensätze sind. Tatsächlich ist der Übergang vom einen zum andern fliessend. Die Therapie praktisch aller Krankheitsdiagnosen, die ja gemäss Krankenversicherungsgesetz bezahlt werden, sollte nach dem Stand der Wissenschaft auch präventive Massnahmen einschliessen, und diese sollten deshalb meines Erachtens verrechnet werden können – dann werden sie auch regelmässig und nachhaltig gemacht: Das wäre ein Musterbeispiel für faire Rahmenbedingungen, hier fordern wir ein Umdenken.
Wie können Medizinstudierende dabei unterstützt werden, ihr Interesse am Hausarztberuf zu entdecken und sich dafür zu engagieren?
Angehende Ärzte sollen die praktische Arbeit in der Hausarztpraxis schon früh kennen lernen, schon in der Ausbildung: Nur was man kennt, kann man lieben. Das funktioniert mit den in den letzten Jahren eingeführten Praxistutoriaten bei Hausärzten schon recht gut, sie sind bei den Studierenden sehr beliebt. Später, während der Weiterbildung zum Facharzt, muss dafür gesorgt sein, dass genügend Stellen im Spital und auch in Hausarztpraxen finanziert werden, wo man das lernen kann, was man als Hausarzt später können muss. Und dann müssten auch endlich die Rahmenbedingungen für die künftige Arbeit als Hausarzt verbessert werden, denn sie haben entscheidenden Einfluss auf die Berufswahl: Die Tarifierung muss fairer werden, und auch die Wertschätzung seitens der Entscheidungs- und Kostenträger sollte sich verbessern.
Wie können Hausärztinnen und Hausärzte motiviert werden, sich für Früherkennung und Prävention einzusetzen?
Sie müssen nicht motiviert werden, die Motivation ist da. Aber man muss ihre Kompetenzen in diesen Bereichen schulen und die Rahmenbedingungen verbessern. Und: Es braucht nicht noch mehr neue Präventionsprogramme zuhanden der Hausärzte, sondern mehr Koordination unter den bestehenden, auf Einzelprobleme ausgerichteten. Drum setze ich mich z.B. dafür ein, dass sich alle Beteiligten der Nationalen Präventionsprogramme mal zusammensetzen und zusammen mit uns Hausärztinnen und Hausärzten überlegen, wie man die verschiedenen Anliegen in ein praktisches, themenübergreifendes Massnahmenpaket verpacken könnte. Das wäre sehr hilfreich. Als Hausärztinnen und Hausärzte behandeln wir nicht eine Adipositas oder eine Alkoholabhängigkeit, sondern Menschen mit ihren individuell unterschiedlichen Verhaltenskonstellationen und Handlungspräferenzen. Deshalb haben wir im KHM das themenübergreifende Beratungsmodell «Gesundheitscoaching» entwickelt.
Wie funktioniert dieses Gesundheitscoaching?
Mit dem Projekt «Gesundheitscoaching KHM» integrieren wir die Beratung für die gesundheitlich wichtigsten Verhaltensweisen in ein Rahmenprogramm für die Prävention und Gesundheitsförderung in der ärztlichen Praxis. Wir gehen davon aus, dass Menschen grundsätzlich daran interessiert sind, selbst etwas für ihre Gesundheit zu tun, dass sie aber aus unterschiedlichen Gründen Motivation, Zuversicht und Bereitschaft noch nicht genügend ausgebildet haben, um konkrete Verhaltensänderungen zu machen.
«Hausärztinnen und Hausärzte sollen sich im Markt behaupten, aber gleichzeitig werden ihnen in vieler Hinsicht die Hände gebunden.»
Arzt und Patient erkunden deshalb zuerst die individuellen Ausgangslagen, Erfahrungen und Präferenzen, erarbeiten anschliessend zusammen mögliche Massnahmen, die der Patient dann als sein persönliches Gesundheitsprojekt in eine Verhaltensänderung umsetzt. Der Arzt oder die Ärztin ist der Coach, die Patientin oder der Patient wird aktiv und hat die Hauptrolle.
Ein Beispiel?
Ein Patient – nennen wir ihn Christian Meier – hat hohen Blutdruck, weshalb er von seinem Arzt ein Medikament bekommt. Aber Christian Meier kann auch selber viel gegen sein Leiden unternehmen. Der Arzt fragt ihn deshalb, wie er sein Gesundheitsverhalten einschätze und ob er interessiert wäre, auch selber etwas gegen den Bluthochdruck zu tun. Gemäss unserer Studie, die wir in 20 Hausarztpraxen mit 1000 Patienten im Kanton St. Gallen während rund 12 Monaten durchgeführt haben, steigen über 90 % der Patienten auf ein solches Angebot ein und füllen dann zu Hause einen Fragebogen aus. Christian Meier befasst sich darin vertiefter mit seinen Verhaltensmustern und möglichen Änderungsmotiven. In der nächsten Konsultation bespricht er dies mit seinem Hausarzt, wählt ein ganz konkretes Verhaltensziel und macht dann einen konkreten Etappenplan, wie er sein selbst gesetztes Ziel erreichen will. Sein Arzt unterstützt und coacht ihn dabei mit seinem Wissen und aufgrund der Erfahrungen seiner anderen Patienten. Unser Test unter realen Praxisbedingungen hat gezeigt, dass von den Patienten, die so ein Projekt anfangen, über 36 % ihr Projekt erfolgreich zum Ziel führen. Das sind erstaunlich viele – dreimal mehr, als aufgrund der Erfahrungen zu erwarten war. Es müssen am Anfang keine grossen Ziele wie ein kompletter Rauchstopp sein. Es können auch kleinere sein wie ein paar Kilos abnehmen oder dreimal wöchentlich 20 Minuten tüchtig marschieren. Es geht darum, den Patienten zu zeigen, dass sie etwas bewirken können, indem der Arzt ihnen Erfolgserlebnisse und steigende Zuversicht ermöglicht. Für solche Motivierende Gesprächsführung haben wir die Hausärzte des Pilotprojekts mit Schauspielpatienten praktisch geschult.
Sie tönen begeistert. Wie sind die Erfahrungen mit dem Gesundheitscoaching, und was halten die Hausärztinnen und Hausärzte davon?
Interessant ist, dass mit diesem Programm nicht nur die Patienten, sondern auch die Ärzte ihr Verhalten verändern. Das Gesundheitscoaching vermittelt dem Hausarzt grundlegende Gesprächs- und Kommunikationsfertigkeiten für die Verhaltensberatung. Viele Pilotprojekt-Ärzte haben diese mit der Zeit auch für manch andere medizinische Situationen anzuwenden begonnen. Was uns auch freut: 16 der 20 Ärzte des Pilotversuchs in St. Gallen wollen das Gesundheitscoaching nach dem Ende des Testjahrs spontan fortsetzen.
Welche Schlüsse ziehen Sie vom Kollegium für Hausarztmedizin daraus?
Wir überlegen nun, wie wir dieses Programm weiterverbreiten können. Die Patientinnen und Patienten schätzten es, dass es endlich nicht mehr nur um ihren hohen Blutdruck, ihr Gewicht, ihren Zigarettenkonsum geht, sondern um sie als Menschen. Sie werden sich bewusst, dass sie die Verantwortung für ihre Gesundheit nicht einfach delegieren können, sondern selber etwas bewirken können. Unsere Sorge für das Weiterverbreiten ist also weniger die Akzeptanz der Ärzte und Patienten. Viel mehr geht es um Fragen der Finanzierung des Programms (Schulung der Ärzte, Materialproduktion, Praxis-Support), und zweitens um faire Entschädigung für die ärztliche Beratungsleistung. Wir haben mit unserem erfolgreichen Praxistest nun für Santé Suisse und BAG die vor dem Projekt verlangten Daten und Belege geliefert und freuen uns auf eine positive Neubeurteilung betreffend Finanzierung der Beratungsleistungen.
Unser Gesprächspartner
Ueli Grüninger (62), Facharzt für Innere Medizin, Lehrbeauftragter an der Medizinischen Fakultät der Universität Bern; nach internistisch-ärztlicher Tätigkeit und Post-Doc (an der Johns Hopkins University in Baltimore, USA) ab 1986 im Institut für Sozial- und Präventivmedizin Bern (Schwerpunkt ärztliche Prävention), ab 1991 im BAG (zuletzt Gesetzgebung Medizinalberufe und Psychologieberufe), seit 2003 Geschäftsführer im KHM.